AJ Ginnis im Interview

Alpine

AJ Ginnis im Interview

„Not so bad, dude. Es hätte viel schlimmer kommen können!”

Er ist einer der gefragtesten alpinen Rennläufer dieser Tage: AJ Ginnis aus Griechenland. Geplagt von schweren Verletzungen, inspirierend durch seinen ungewöhnlichen Werdegang, gefeiert für seine offene und sympathische Art und spätestens nach seiner Silbermedaille bei der Ski-WM in Courchevel bekannt bei jedem Ski-Fan auf der Welt. Doch neben seinen beeindruckenden Erfolgen stechen vor allem seine ungewöhnliche Vita und seine besondere Beziehung zur Marke Fischer hervor. Wir wollten mehr darüber und über ihn als Person erfahren.


Wie würdest du deine Kindheit beschreiben und wo hast du sie verbracht?

Ich hatte eine sehr glückliche Kindheit. Ich bin in der griechischen Küstenstadt Vouliagmeni, direkt am Meer und in einer Kultur voller Sport und Abenteuer aufgewachsen. Meine Familie liebte den Sport und ich erinnere mich, dass ich schon in jungen Jahren unterschiedlichste Sportarten wie Tennis, Basketball, Fußball, Volleyball, Wassersport, Leichtathletik und nicht zuletzt Skifahren ausprobieren durfte. Obwohl meine Familie für griechische Verhältnisse als Berg- und Wintersport-orientiert galt, ist das natürlich nicht mit Familien zu vergleichen, die in den österreichischen, italienischen oder schweizer Bergen aufwachsen. Daher bin ich immer noch der Typ, der lieber einen Tag am Meer verbringt, als einen Tag in den Bergen zu wandern und das ist sicherlich ein Resultat meiner Herkunft und der Umstände meiner Kindheit.

Wann hast du mit dem Skifahren begonnen?

Ich wurde im November 1994 geboren und meine Eltern stellten mich schon im folgenden Winter auf die Ski. Mit dem Skirennsport habe ich allerdings erst mit ungefähr 12 Jahren angefangen.

Wie begann deine Skikarriere?

Meine Rennsportkarriere begann, als mein Vater und ich zum Start der Wintersaison 2006 nach Österreich zogen Zu diesem Zeitpunkt war ich 12 Jahre alt. Er meldete mich beim Skiclub Kaprun an und schon war es um mich geschehen.

Wann hast du das erste Mal gemerkt, dass der Weg in den professionellen Skisport möglich ist?

Im Alter von 14 Jahren stand ich erstmalig bei einigen hochrangigen österreichischen Rennen auf dem Podium, in der folgenden Saison hatte ich die zweitbesten FIS-Slalompunkte der Welt für Athleten des Geburtsjahrgangs 1994. Zu diesem Zeitpunkt begann ich zu realisieren, dass ich tatsächlich gut in dieser ganzen Sache bin und ich es zu etwas bringen könnte.

Was sind die wesentlichen Meilensteine bisher in deiner Karriere gewesen?

Um die wichtigsten Meilensteine meiner Karriere chronologisch durchzugehen, würde ich mit meinem zweiten Europacup-Rennen in Levi, Finnland, beginnen. Ich bin mit Startnummer 96 gestartet und fuhr auf Platz 11, nach dem ersten Durchgang war ich sogar zwischenzeitlich auf Platz 9. 2015 konnte ich dann Bronze bei den Junioren-Weltmeisterschaften in Hafjel, Norwegen, gewinnen, bevor ich 2016 die ersten Weltcuppunkte in Madonna Di Campiglio, Italien, erzielen konnte. Mit einem 11. Platz in Flachau, Österreich, waren dann die ersten Weltcup-Punkte für Griechenland fällig, bevor ich mit einem 2. Platz 2023 in Chamonix, Frankreich, das erste Mal bei einem Weltcup auf dem Podium stehen konnte. Die Silbermedaille bei den Weltmeisterschaften 2023 in Courchevel bleibt bisher das absolute Highlight. Ich hätte gerne den ersten Weltcupsieg in Palisades, Kalifornien, eingefahren, allerdings hoffe ich, dass ich in der neuen Saison bald die Gelegenheit bekommen werde, dies nachzuholen.

Was waren bisher die größten Rückschläge in deiner Karriere und/oder in deinem Leben?

Leider habe ich im Laufe meines bisherigen Lebens einige Rückschläge erfahren müssen. Der Verlust meines Vaters durch Selbstmord als ich 18 Jahre alt war ist sicherlich der größte Schicksalsschlag, den ich bisher in meinem Leben erfahren musste. Aber auch sechs Knieoperationen, darunter drei am Kreuzband, eine am Außenband und eine ganze Menge Meniskus- und Knorpelschäden sind nicht gerade hilfreich, wenn man versucht, gegen die Besten der Welt anzutreten. Trotzdem habe ich aus jedem einzelnen Rückschlag und jedem schwierigen Moment in meinem Leben viel gelernt, was mich letztendlich auch zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin.

Gab es bisher ein Ergebnis, Erfolg oder Ereignis, das in welcher Art auch immer besonders heraussticht?

Die silberne WM-Medaille aus Courchevel wird mir ewig in Erinnerung bleiben. Der Druck, den ich überwunden habe und die Intensität, in der ich für mich und für mein Land Griechenland auf diesen Moment hingearbeitet habe, waren wirklich etwas Besonderes. Der bisher beste Moment in meiner Karriere und in der Geschichte des Wintersports meines Landes wird kaum zu überbieten sein, trotzdem werden wir es weiterhin versuchen.

Hast du genaue Pläne, wo es für dich sportlich noch hingehen soll?

Mein Team und ich wollen weiterhin die Grenzen des Sports ausloten und sehen, wie weit wir gehen können. Solange das in schnellen Zeiten resultiert, sind wir glücklich und wir sind sehr gespannt, wohin uns das noch führen mag.

Wie wichtig ist das Team um dich herum und wie ist es aufgestellt?

Meine Mutter hat mir schon von Beginn an gelehrt, dass mein privates Umfeld und mein Team das Wichtigste für mich sein werden und sie sollte Recht behalten. Es ist kein Geheimnis, dass ich meine skifahrerische Ausbildung beim US-Team erhalten habe. Aber aus welchen Gründen auch immer konnte ich unter der amerikanischen Führung keine Leistung erbringen und wurde schließlich aus dem Kader ausgeschlossen. Dieser Rückschlag gab mir aber auch die Möglichkeit, mein eigenes Team ganz nach meinen Vorstellungen aufzubauen. Ich habe mich an meine besten Freunde gewandt, um sie als meine Coaches ins Team zu holen und wir arbeiten ganz genau so, wie wir es für richtig halten. Von der Ausbildung, über das Training, bis hin zu den Marken und Ausstattern, mit denen wir zusammenarbeiten, stellen wir immer uns selbst in den Fokus. Es ist wie ein Startup-Unternehmen, das hoffentlich auch in weiterer Zukunft immer besser wird.

Wie gehst du mit dem wachsenden Druck um, der nach dem neuerlichen Hype noch gewachsen sein dürfte?

Es gibt keinen größeren Druck als den, den ich mir selbst mache. Niemand kann mir das nehmen, was mein Team und ich bisher erreicht haben, und niemand kann meine Ziele und meinen weiteren Weg beeinflussen. Es ist schon amüsant zu beobachten, denn nach meinem ersten Rennen in den Top 30 in Courchevel sagten die Leute zu mir: "Oh, jetzt, wo du unter den besten 30 bist, werden die Lichter groß und einige Athleten neigen dazu, sich dann eher zurückzuziehen". Wenn ich so etwas höre, muss ich fast ein wenig schmunzeln. Denn genau auf diese Chance habe ich mein ganzes Leben lang gewartet und hingearbeitet und werde sie mir sicherlich nicht entgehen lassen. Und selbst wenn ein Rennen nicht so gut läuft und ich es nicht in den zweiten Durchgang schaffe, weiß ich ganz genau, dass ich den Weg zurück an die Spitze finden werde. Ich habe unglaublich gute Leute und treue Sponsoren in meiner Ecke und das ist alles, was für mich zählt und gibt mir Sicherheit.

Wie denkst du über die Medien allgemein?

Ich denke sehr positiv über die Medien. Sie haben mir und meinem Team sehr geholfen und sie sind ein wichtiger Teil der Welt, in der wir leben. Ich wünschte, ich wäre in der Vergangenheit ein bisschen sorgfältiger mit meinen eigenen Social-Media-Plattformen umgegangen. Und ich hoffe, dass ich den kommerzielleren Medien, bei denen ich aufgrund meiner sportlichen Entwicklung eine zunehmende Rolle spiele, wertvolle Inhalte und Mehrwerte bieten kann. An dieser Stelle möchte ich diesen Medien auch dafür danken, sich die Zeit für mich genommen zu haben und mir diese Chancen einzuräumen.

Was war dein erster Berührungspunkt mit der Firma Fischer und wie würdest du deine Verbindung mit Fischer beschreiben?

Mein Vater war damals Fischer-Vertreter in Griechenland und hatte einen eigenen Laden für Fischer-Produkte. Ich bin also wortwörtlich mit der Marke aufgewachsen. Als ich aufwuchs, liebte ich die Marke Fischer genauso sehr wie beispielsweise meine Lieblingssportmannschaften, deren Fan ich war. Für mich gab es zwei Arten von Menschen auf dem Berg: diejenigen, die einen Fischer Ski unter der Bindung hatten und dann gab es eben noch den Rest.

Hast du das Gefühl, wegen des professionellen Skifahrens auf etwas verzichten zu müssen?

Ich habe in der Tat vieles für das Skifahren aufgegeben. In jungen Jahren bin ich von meinen Freunden in Griechenland weggezogen, um für ein paar Monate im Jahr in Österreich trainieren zu können. Dieser Trend hat sich mein ganzes Leben lang fortgesetzt. Ich sehe meine Familie nicht annähernd so oft, wie ich es mir wünschen würde, ich habe Beziehungen geopfert, um mit dem Skifahren weitermachen zu können und wenn man es genau betrachtet, lebe ich das ganze Jahr über aus einem Koffer. Aber auch hier habe ich das große Glück, unglaubliche Menschen in meinem Leben zu haben, die mich verstehen, meine Entscheidungen nachvollziehen können und mich bei diesen unterstützen. Im vergangenen Mai bin ich offiziell zurück nach Griechenland gezogen und habe nun wieder Freund um mich herum, die ich seit 12 Jahren nicht gesehen hatte. Mit ihnen dort weiterzumachen, wo wir vor 12 Jahren aufgehört hatten, war wirklich emotional für mich.

Gibt es etwas, das du im Skisport allgemein gerne ändern würdest?

Beständigkeit bei gleichzeitiger Beibehaltung dieses hohen Niveaus ist für mich das A und O. Ich glaube, wir sind auf dem besten Weg dorthin.

Gibt es etwas, dass du rückblickend in deiner bisherigen Karriere anders machen würdest?

Am meisten bereue ich in der Tat, dass ich mich im Alter von 17 Jahren an den Speed-Disziplinen versucht habe. Bei meinem damalig ersten Camp mit dem US-Team wurde ich auf Speed-Ski gestellt und zerstörte mir schließlich im August 2012 mein linkes Knie. Dieser Sturz und die Schwere der Verletzungen, die ich dadurch erlitten habe, haben sicherlich mein ganzes Leben verändert. Das ist eine Sache, die ich rückblickend gerne vermieden hätte.

Wie verbringst du freie Tage?

Während der Saison nutze ich freie Tage für Ruhephasen und weiteres Training im Fitness-Studio. Im Sommer fliehe ich mit ein paar Freunden auf eine Insel in Griechenland.

Wie ist das Gefühl, dass die Leute dich mittlerweile oft auf der Straße erkennen?

Das ist verrückt. Ich glaube nicht, dass ich mich jemals daran gewöhnen werde.

Gibt es schon Pläne für die Zeit nach der aktiven Karriere?

Ich habe einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften vom Dartmouth College, vielleicht werde ich diesen nutzen. Ich habe einige Ideen, was ich auf jeden Fall machen möchte, im Moment ist aber nichts sicher und ich konzentriere mich voll auf den Sport.

Was muss erfüllt sein, damit du deine Karriere als Rennläufer rückblickend als eine erfolgreiche bezeichnen würdest?

Nach so vielen Operationen kommt man nicht umhin, von Zeit zu Zeit auf seine Karriere zurückzublicken. Vor allem, wenn die Dinge manchmal nicht so laufen, wie man will und die Zukunft sehr unklar aussehen mag. Deshalb habe ich mir schon recht früh zu folgender Einstellung gekommen: „Nicht schlecht für einen Jungen, der 100 Meter vom Meer entfernt in Griechenland aufgewachsen ist. Not so bad dude, hätte viel schlimmer sein können.“

Natürlich habe ich immer Träume und Ziele, die ich weiterhin verfolge, aber trotzdem bin extrem stolz auf alles, was ich bisher auf dieser Reise erreicht habe.